
“Interim-Business is a People´s Business!“
Wenn ich jedes Mal einen meiner geliebten schottischen Whiskys zu mir nähme, sobald jemand in der Interim-Szene diesen Satz säuselt, wäre ich inzwischen sicher zum Alkoholiker geworden.
Ganz sicher!
Ich bin davon überzeugt: Das Interim-Business ist ein People’s Business – aber erst am Ende des Prozesses. Und dann hat es rein gar nichts mehr mit den Dienstleistern in diesem Business zu tun.
Aber der Reihe nach:
In Berührung gekommen bin ich mit diesem Bonmot des „People´s Business“ im Übrigen zum ersten Mal nicht im Interim-Universum, sondern vor rund fünfzig Jahren: im Bankgeschäft! Auch dort wurde dieser vorgebliche Fundamentalsatz rauf und runter gebetet: Von den Gurus und den an ihren Lippen hängenden Jüngern (auf das perfekt gegenderte „Jüngerinnen“* wäre damals kein Mensch gekommen): Und die Tatsache, dass im Jahrgang 1981/1982 eine gewisse Marion Herbst die mit Abstand beste Absolventin des Management Kurses von Chase Manhattan in London war, musste von zahlreichen Alphatieren erst einmal verdaut werden.
In der Zwischenzeit ist die Anzahl der Kunden- vulgo People-Betreuer geschmolzen wie Butter in der Sonne – und die Kunden machen den Großteil ihrer Bankgeschäfte selbst: vom Bargeld und dem einfachen Zahlungsverkehr über Festgelder und Wertpapiere bis hin zum Handel mit Derivaten und Kryptowährung.
Ein halbes Jahrhundert alt ist dieser Spruch also mindestens!
Und er hat die Bankenwelt ganz leise und ohne großes Aufsehen verlassen.
Aber im Interim Business – der selbsternannten unternehmerischen Speerspitze – da tun wir so, als hätte sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert!
Wie krass ist das denn…?
Stattdessen wabert der Spruch noch immer durch die einschlägigen Branchen-Highlights, Events, Workshops und sonstige Inaugurations-Veranstaltungen im Interim-Business, als wäre er der letzte Rest von Räucherstäbchen nach einem Yoga-Retreat.
Und natürlich bei LinkedIn: Der Werbeplattform fürs Interim Business – und dem dauerbetriebenen Kompressor für die Interim-Blase.
Hier – bei LinkedIn – wird unser „People Business-Mantra“ von einschlägigen Interessensvertretern genüsslich wiedergekäut – ein Beatmungsgerät für in die Jahre gekommene Glaubenssätze.
Hier also dann die 1.000 Dollar-Frage: Ist der Spruch heute, im Jahr 2025, noch mehr als nostalgisches Hintergrundrauschen in einer Welt, die sichtbar digitaler und künstlicher intelligent wird? Oder eher ein charmantes Vintage-Poster, das man hängen lässt, weil es harmonisch zur Wandfarbe passt?
Hierzu müssen wir uns klarmachen, was unser „Interim Management is a People´s Business“ genau meint – und warum dieses Mantra so konsequent heruntergebetet wird. Und von wem…
Unter der Motorhaube des „People Business“
Schauen wir uns also die Wörter dieses Mantras genau an: „People“ und „Business“. Das ultimativ absolutistische Wort „is“ lassen wir als gegeben außen vor:
„Business“ – „Geschäft“: Laut Duden ein „auf Gewinn abzielende [kaufmännische] Unternehmung, [kaufmännische] Transaktion; Handel“. Wer hier unmittelbar im Kopf „eine rationale Entscheidung“ aufflackern hat, dem empfehle ich diesen Blog von Dietmar Karner: „Dein Bauch hat längst entschieden – bevor dein Kopf auch nur zuhört!“ Also menschelt es im Business wohl doch weit mehr, als wir glauben mögen. Wie unter dieser Logik überall: Und dann ist die Aussage allgemeingültig, auf jeden Fall aber keine Besonderheit des Interim Business!
„People“ – „Leute, Menschen“: Welche Menschen also sind Parteien in diesem Interim-Business:
(a) Interim Manager: Bietet Unternehmen (b) seine Expertise als zeitlich und projektorientierte Dienstleistung gegen Entgelt an.
(b) Unternehmen: Beauftragt bei Bedarf in besonderen Situationen (z.B. fehlende Kapazitäten oder fehlendes Knowhow) den Interim Manager (a).
(c) Intermediäre: Bringen Interim Manager (a) mit Unternehmen (b) zusammen, wenn diese nicht eigenständig zusammenfinden – und verlangt dafür ein Honorar (Provision), typischerweise ein Prozentsatz vom Tagessatz, den das Unternehmen (b) an den Interim Manager (a) zahlt.
Schauen wir uns jetzt die beiden Kern-Prozesse an, die dazu führen, dass Unternehmen (b) und Interim Manager (a) zusammen kommen.
Kernprozess 1: Der direkte Weg zum Interim Manager
Das Unternehmen kennt den jeweiligen Interim Manager aus einer früheren Zusammenarbeit und beauftragt ihn. Das dürfte seltener sein als man gemeinhin glauben mag, denn die zweite Aufgabenstellung dürfte wohl abweichend von der ersten Aufgabe sein und der Interim Manager – ein Spezialist für die erste Aufgabe – nicht automatisch erste Wahl für die zweite Aufgabe sein.
Hinzu kommt, dass der Interim Manager – dessen eigene Auslastung stets hohe Priorität hat – zum Zeitpunkt, an dem er vom „Wiederholungskunden“ angesprochen wird oftmals nicht verfügbar sein wird.
Folglich wird der angesprochene Interim Manager in vielen Fällen – schon, um seinen Kunden nicht allein zu lassen! – einen geeigneten Kollegen vorschlagen – meist aus seinem eigenen Netzwerk.
Sollte er, der Interim Manager, dazu nicht in der Lage sein, wird das Unternehmen befreundete Unternehmen oder aber Provider um eine Empfehlung bitten.
Selbstverständlich wird das Unternehmen letztlich aufgrund eigener Parameter und vollkommen autark entscheiden, ob es den – auf welchem Weg auch immer – empfohlenen Interim Manager beauftragt oder nicht.
Dieser „Wiederholungskauf“ und dieses Empfehlungsgeschäft sind reines „People Business“: Daran dürfte kein Zweifel bestehen. Dennoch werden Sie das Mantra „Interim Business is a People´s Business“ in diesem Umfeld sehr selten hören. Ganz anders ist das im Kernprozess 2.
Kernprozess 2: Der indirekte Weg zum Interim Manager
Das Unternehmen weiß nicht, wie es den richtigen Interim Manager identifizieren kann. Was tut ein Unternehmen in einem solchen Fall typischerweise?
Es holt sich Hilfe – und zwar dort, wo man sich auskennt. Das sind traditionell die Provider – wie´s im Immobiliengeschäft die Makler sind. Sie bringen Angebot und Nachfrage zusammen und erhalten dafür ein Entgelt.
Bis das Internet kam.
Die Makler erkannten das bereits im Jahr 1995, als der Ring Deutscher Makler bei debis Systemhaus die Online-Lösung „Immonet“ in Auftrag gab (heute im Eigentum der AVIV Germany GmbH). Ich hatte seinerzeit das Vergnügen, dieses Projekt im Rahmen der Internet Business Solutions GmbH zu verantworten.
Inzwischen haben laut einer Bitkom-Studie rund 70 % derjenigen, die schon einmal nach einer Wohnung oder einem Haus gesucht haben, dafür teilweise oder ausschließlich das Internet genutzt. Dort heißt es weiter: 52 % suchen auf großen Immobilienportalen wie ImmoScout24, Immowelt etc.
Die Provider haben – bemerkenswerterweise – nichts Vergleichbares ins Leben gerufen.
Was letztlich hochgradig erstaunlich ist, denn laut iwd lag im Jahr 2022 die durchschnittliche Investitionssumme für Wohneigentum in Deutschland bei rund 388.000 Euro. Dafür bekommst Du locker einen Interim Manager [bei einem durchschnittlichen Tagessatz von 1.338 Euro (Quelle: AIMP) und Vollauslastung (20 Arbeitstage/Monat) und einer typischen Laufzeit von 6 bis 12 Monaten führt das zu einer Investition von zwischen rund 160.600 und 321.100 Euro].
Formulieren wir es anders: Menschen haben kein Problem damit, im privaten Umfeld weitreichende, teure und mitunter „once in a lifetime“-Investitionen über Internet anzubahnen – aber im geschäftlichen Umfeld tun sie genau das nicht? Für weniger weitreichende, weniger teure und weniger exklusive Entscheidungen?
Sehr überzeugend klingt das nicht!
Wo Datenanalyse den ersten Schritt macht, der Mensch aber den letzten
Sehr viel nachvollziehbarer ist es für mich, wenn der gleiche Prozess auch – spätestens auf mittelfristige Sicht, wenn die nächste Generation nachrückt – im Interim-Business Einzug halten wird, dominiert durch eine digitale Phase vor dem ersten Gespräch:
(a) Tempo schlägt Teezeremonie: Auftraggeber wollen heute Geschwindigkeit – und Plattformen liefern praktisch in Echtzeit statt Tagen.
(b) Kosten vs. Kaffeekränzchen: Die Automatisierung spart Geld – der CFO lächelt, der Provider weint.
(c) KI & Matching-Algorithmen: Maschinen sind gnadenlos objektiv – kein Bauchgefühl, keine alten Kumpel-Seilschaften – und keine Montagmorgen-Laune, der ein so chancenloser Kandidat zum Opfer fällt…
Kurz: Wo Zeit und Budget die Taktzahl vorgeben, wirkt das alte Mantra manchmal wie ein Telefon mit Wählscheibe – hübsch nostalgisch, aber niemand wählt mehr so.
Dann aber folgt – ebenso sicher – eine nicht digitale Entscheidungs-Phase: Wenn Menschen in Unternehmen (Achtung: nicht die Provider!) darüber entscheiden, ob sie anderen Menschen (den Interim Managern) zutrauen, die jeweils anstehende Aufgabe zu stemmen – und ob diese Interim Manager zum Unternehmen, zum Team oder zum „Stallgeruch“ passen.
Und dann ist das tatsächlich ein „People’s Business“: Aber erst und nur dann!
Und so leid´s mir tut: Das hat mit allen Dienstleistern im Interim-Business aber auch rein gar nichts zu tun…
* (1) Ich hatte diesen Text zunächst gar perfekt gegendert. Dadurch wurde er unerträglich lang. Ich bitte meine Leser deshalb um Nachsicht, dass ich mich textlich auf die männliche Wortwahl beschränkt habe. Inhaltlich meine ich jedoch auch die weibliche Form und die diverse: Also alle … (2) das Titelbild wurde von ChatGPT erzeugt und von mir bearbeitet. Das Bild „Telefon“ kommt von www.pixabay.com