Freitag 20. Januar 2012

VIELLEICHT SIND WIR EINFACH ZU GUT

Es gibt Menschen, die scheuen sich ein wenig, klar zu fragen – auf dass sie eine klare Antwort erhalten. Das gilt auch, vielleicht sogar besonders, für Menschen im Vertrieb. Ich gehöre sicher nicht dazu.

 

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine klare Antwort so gut wie immer weiterhilft – und sei es auch nur, um unnötige Arbeit zu vermeiden.

 

Eine sehr mächtige Frage im Vertrieb lautet zum Beispiel: „Was hält Sie davon ab, mit uns ein Geschäft zu machen?“ Okay, es gibt Kunden, die winden sich dann ein wenig, sind sie doch gezwungen, die Ebene der Höflichkeitsfloskeln zu verlassen. Aber danach weiß jeder, woran er ist.

 

In den letzten Wochen habe ich so gut wie alle von uns betreuten Unternehmen, von denen wir 2011 keine Projekt-Anfrage erhalten hatten, gefragt – per E-Mail, natürlich:

 

„Das Jahr 2011 ist zu Ende gegangen und ich frage mich, was ich tun muss, damit wir in diesem Jahr ein gemeinsames Projekt hinbekommen. Wie schätzen Sie das ein? Machen wir hier etwas falsch aus Ihrer Sicht?“

 

Die Antworten sind sehr vielschichtig und reichen von einem eher ruppigen „Danke für Ihre Nachfrage, leider fehlt mir die Zeit und ich sehe es nicht als meine Aufgabe, die Vergangenheit für Sie zu analysieren.“ bis zu: „Sie machen nichts falsch! Vielleicht sind wir einfach zu gut, so dass wir keine Interim Manager benötigen?“ – und, ein extern geliefertes Ausrufezeichen, gerade erst um 13.50h: „Leider, aus unserer Sicht „Gott sei Dank“, haben wir ihre Leistungen nicht in Anspruch nehmen müssen.“

 

Die erste Antwort verstört mich ein klein wenig – die zweite aber lässt mich leiden wie ein Hund.

 

Ich sehe hierin die Konsequenz, die der eine oder andere Kunde aus der kruden Berichterstattung in der Presse zum Thema Interim Management zieht.

 

Wenn wundert wirklich, dass die Kunden dichtmachen, wenn sie lesen:

 

Zitate Anfang:

 

Prominenter sind raubeinige Sanierer, die in Krisenfirmen hart regieren und die Belegschaft mit markigen Sprüchen schocken.

 

Wenn Interimsmanager ins Rampenlicht geraten, dann meist als gnadenlose, rabiate Sanierer mit herben Sprüchen auf den Lippen.

 

Reingehen, durchgreifen, rausgehen – das Geschäft knorriger Alpha-Männer, die mit allen Wassern gewaschen und nicht darauf aus sind, sich Freunde zu machen.

 

Zitate Ende (alle aus Spiegel Online vom 9. Januar 2012)

 

Dieser Artikel, mit dem ich mich bereits am vergangenen Freitag beschäftigt hatte, steht nicht allein. Vielmehr ist er eine Art Pars pro Toto für das, was Journalisten für unseren, noch immer jungen Markt fabrizieren. Vermutlich gilt auch hier, „bad news are good news“, und in einer Art betriebswirtschaftlichem Dschungel-Kamp werden Kröten- und Würmer-nahe Zustände geschildert, damit der Leser frohlocken kann: „Gott sei Dank, nicht bei mir!“

 

Solange solche Artikel durch die Gegend geistern, wird es Kunden geben, die im tiefen Innern die Formel abgelegt haben: Interim Management = (schlecht + Zeichen eigner Schwäche)². Die Frage ist: Wie viele?

 

Und wenn man das zu Ende denkt, dann kann man aus dem Umkehrschluss sogar Ich-bin-okay-Botschaften nach bester Transaktionsanalyse für sich ableiten – und sich dadurch auch noch richtig gut fühlen.

 

Und das ist dann die hohe Schule: Andere Unternehmen sind schnell, smart und schlank – aber:

 

Vielleicht sind wir einfach zu gut.

Kommentare

  • 01
    Dr. Harald Schönfeld schrieb...

    Er schwitzte und blickte nervös auf sein melodiös schnurrendes Smartphone. Doch die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Grossauftrag war eingegangen. Ganz tief in seinem Inneren dachte er an die letzte Gesellschafterversammlung, in der er nicht sicher war, ob der Mehrheitsaktionär nicht doch Wind von der Sache bekommen hatte, als er sagte: „Ja, Müller, Sie haben den Laden gut im Griff“.